Der 19. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat in zwei gleichgelagerten Beschwerdeverfahren die vorangegangenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen geändert und die Eilanträge abgelehnt, mit denen Eltern die vorläufige Untersagung von Schulunterricht nach den neuen Rechtschreibregeln erreichen wollten.

In den Gründen seiner Beschlüsse führt der Senat aus:

Es spreche zwar viel dafür, daß nach der für die Beurteilung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Gesetzesregelung derzeit eine Unterrichtung der Schüler in den bisher gebräuchlichen Rechtschreibregeln weiterhin geboten und eine Unterrichtung in den neuen Rechtschreibregeln lediglich zusätzlich - gleichzeitig oder zeitlich versetzt - zulässig sei. Die Antragsteller hätten aber nicht glaubhaft gemacht, daß die deshalb mögliche Rechtsverletzung schwerwiegend sei und ein dauerhaftes Ausbildungsdefizit ihrer Töchter nur durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung vermieden werden könne. Deshalb sei der für eine solche Anordnung notwendige Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Im einzelnen heißt es dazu in den Beschlüssen:

Die Rechtslage werde in Nordrhein-Westfalen durch § 1 Abs. 3 Schulordnungsgesetz - SchOG - iVm § 7 Abs. 1 der Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule bestimmt. Danach habe die Schule unter anderem die Aufgabe, die Jugend in lebendiger Beziehung zur sozialen Wirklichkeit zu bilden und ihr das für Leben und Arbeit erforderliche Wissen und Können zu vermitteln. Diese Vorschrift, eine verbindliche Richtlinie des Gesetzgebers für Lehrer-schaft, Schulaufsicht und Schulverwaltung, werde durch die Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule konkretisiert, derzufolge die Schüler in der deutschen Sprache im Sprachgebrauch, Lesen und Rechtschreiben zu unterrichten seien.

Zu dem für Leben und Arbeit erforderlichen Wissen gehöre die Kenntnis der richtigen Schreibweise. Richtig sei die Schreibweise, die in der Gesellschaft akzeptiert und verbreitet sei. Normierungen der Rechtschreibung für den Schulunterricht seien sowohl vom Charakter der Rechtschreibregeln als Ergebnis gesellschaftlicher Konvention als auch vom gesetzlichen Bildungsziel der Schule her Nachvollzug der Schreibkonventionen. Den sich daraus ergebenden Anforderungen an den Rechtschreibunterricht entspreche eine Unterrichtung allein in der neuen Schreibung wohl nicht. ... Die alte Schreibweise werde, auch wenn ab dem 1. August 1998 die neue Schreibung von allen Schulen eingeführt werden sollte, noch auf Jahrzehnte verbreitet bleiben. ... Wollte die Schule ihrem gesetzlichen Auftrag aus § 1 Abs. 3 SchOG gerecht werden, so werde sie deshalb in den nächsten Jahren auch in der alten Schreibweise unterrichten müssen, solange die Beherrschung der alten Rechtschreibung für Leben und Arbeit erforderlich sei. Das bedeute nicht, daß die Bildungszielbestimmung des § 1 Abs. 3 SchOG einer Unterrichtung zusätzlich auch in der neuen Schreibweise unter den hier gegebenen Umständen entgegenstehe. Auch wenn die Normierung von Rechtschreibregeln für die Schule prinzipiell nur Nachvollzug vorgefundener Schreibung sein dürfe und die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung jedenfalls in Teilen darüber hinausgehe, sei es der Schule, die insbesondere die künftige Bewährung der Schüler in Leben und Arbeit im Blick habe, nicht versagt, zusätzlich auch eine solche Schreibung zu unterrichten, die sich voraussichtlich - zunächst neben der überkommenen Schreibweise, später vielleicht an deren Stelle - gesellschaftlich durchsetzen werde. Einer weiteren gesetzlichen Grundlage bedürfe es unter dieser Voraussetzung - Unterrichtung einer sich wahrscheinlich jedenfalls in Teilen der Gesellschaft durchsetzenden Schreibung - nicht.

Wenn der Senat den Beschwerden der Schule gleichwohl stattgegeben und die Anordnung des Verwaltungsgerichts, die eine Unterrichtung nach den neuen Regeln untersagt hatte, aufgehoben hat, so deshalb, weil in der Schule, um die es hier gehe, anhand alter Bücher und Arbeitshefte unterrichtet, somit den Schülern zwangsläufig die Kenntnis der alten Schreibweise vermittelt werde. Von den Eltern aber sei nicht glaubhaft gemacht worden, daß ihren Kindern bei einer Weiterführung des jetzigen Unterrichts bis zum Ende dieses Schuljahres - nur auf dieses bezieht sich der Rechtsstreit - so schwere Ausbildungsdefizite erwüchsen, daß diese in der verbleibenden Schulzeit nicht oder nur mit unzumutbaren Anstrengungen ausgeglichen werden könnten.

Az.: 19 B 2436/97